Im Geheimen

Ein Gastbeitrag von Dr. Ina Lindow (Fräulein Athene)

Ein Familienleben vollzieht sich auch im Geheimen. Astrid Lindgrens Lotta aus der Krachmacherstraße hat es vorgemacht. Lotta ist voller Einfälle und sie kann so gut wie alles – auch wenn zunächst nur im Geheimen.

Meine Tochter hat das als Vierjährige nicht nur immens beeindruckt, sondern auch zum Nachahmen inspiriert. Sie konnte von da an auch alles – falls nötig, eben im Geheimen. Ein großer Spaß zwar, in unserem Alltag aber immer wieder mit Hürden verbunden. Ein Beispiel?

Ich: Bitte zieh dich an. Wir müssen gleich los.

Sie: Ja gut.

Ich [Minuten später]: Deine Sachen hängen immer noch über dem Stuhl. Was ist passiert?

Sie: Ich warte.

Ich: Worauf?

Sie: Dass sich mein Körper anzieht.

Ich: Von allein?!

Sie: Im Geheimen, Mama.

Ich: Okay. Bitte tu uns beiden den Gefallen und hilf deinem Körper. BITTE!

Vielleicht hatten wir auch einfach einen Lotta-Overload. Mein Sohn mochte die Geschichten von Lotta dann auch nicht allzu sehr. Er schaffte lieber offen Tatsachen, als sich mit einem Ergebnis im Geheimen zufrieden zu geben.

Ein Nagel in seinem Hochbett, an dem er seit seinem fünften Geburtstag seinen Morgenmantel hängt, zeugt noch immer davon. Geheim hält er dagegen zum Beispiel, dass er genau weiß, wer sich hinter den Überraschungen an Weihnachten und Ostern verbirgt. Er, der sonst alles bis ins Detail analysiert, hängt an die Illusion dieses Zaubers sein gesamtes Herz.

Auch Eltern führen bisweilen ein Leben im Geheimen. Wir behalten etwas für uns, weil wir uns schämen. Oder wir leben im Verborgenen aus, was sich mit den Regeln, die wir uns und unserer Familie geben, nicht vereinbaren lässt. Wenn wir heimlich Schokolade essen etwa. Oder, das ist schon etwas schwieriger einzugestehen, wenn wir innerlich Strichlisten führen. Darüber zum Beispiel, wer wie oft Geschenke für Kindergeburtstage besorgt, motiviert an Elternabenden teilgenommen und zuverlässig Arztbesuche absolviert hat, und wer wieder in der Nacht aufgestanden ist, um beim Kind zu sein.

Im Geheimen handeln wir auch, wenn wir zweifeln und vergleichen, während wir nach außen versichern, genau das nicht zu tun. Oder wenn wir uns innerlich entschuldigen, weil uns die Worte einfach nicht über die Lippen kommen wollen. Auch das Bild vom eigenen Kind kultiviert sich besonders gut im Verborgenen. Dann nämlich ist es allein an uns, die Farben und Formen für die Entwicklung unseres Nachwuchses zu wählen.

Ein Elternleben im Geheimen hält uns einen Spiegel vor. Es erfordert Mut, in diesen Spiegel zu blicken. Und manchmal wir müssen tapfer sein, um auszuhalten, was wir sehen. Aber wir werden auch belohnt. Wir sehen unsere inneren Konflikte und Verletzungen und nehmen die Wunden wahr, die noch versorgt werden wollen. Ist das geschafft, hält unser Elternleben im Geheimen viel mehr Platz für die Dinge vor, die uns wirklich gut tun.

Unsere Wünsche können wir wieder auf unser eigenes Leben richten. Und unsere Träume? Die sind in der Realität doch viel besser aufgehoben. Warum es nicht wagen und einfach ausprobieren, was geht? Ich versichere dir, es ist ein ganz wunderbares Gefühl.

Autorenbox:

Fräulein Athene ist vieles, vor allem aber suchend. Auf ihrem kürzlich gestarteten Blog lässt sie an ihren Gedanken über das eigene Leben, Familie, Beziehung und Karriere teilhaben. Ihre Texte sind Einladung und Ermutigung zugleich, wahrhaftig zu leben.

Mehr auf: http://fraeulein-athene.blog.